Noch ver­liebt?

Erwin:
Als wir frisch ver­liebt waren, hat­ten wir Ener­gien, die uns heu­te fast über­mensch­lich erscheinen.

Ich erin­ne­re mich an eine Nacht bei unter null Grad im Auto auf einem Park­platz, in der wir bis in die frü­hen Mor­gen­stun­den gemein­sam über Gott und die Welt phi­lo­so­phiert und uns dabei total im Ein­klang gefühlt haben. Am nächs­ten Tag muss­te ich zur Arbeit und ich war dabei kein biss­chen müde.
Heu­te wür­de ich mich nach der ers­ten hal­ben Stun­de am Park­platz schon fra­gen, ob das wirk­lich sein muss. Wenn ich nicht vor Mit­ter­nacht mei­nen Schlaf bekä­me, wäre ich so gerä­dert, dass ich mir am nächs­ten Tag lie­ber Urlaub neh­men würde.
Über­haupt haben wir in der Zeit unse­rer Ver­liebt­heit sehr viel mit­ein­an­der gere­det. Es war völ­lig gleich­gül­tig wor­über, aber der Gesprächs­stoff ist uns nie ausgegangen.
Wenn ich heu­te rela­tiv müde von der Arbeit nach Hau­se kom­me, bin ich um jedes Wort froh, wel­ches ich nicht sagen muss. Wenn Eva mich fragt was bei mir los war, sage ich häu­fig: „Nichts beson­de­res“ – und damit ist das Gespräch beendet.

Eva:
Ich erin­ne­re mich dar­an, wie Erwin mich in der Zeit unse­rer Ver­liebt­heit zum Zel­ten ein­ge­la­den hat und ich ganz selbst­ver­ständ­lich mit­ge­kom­men bin, obwohl ich so etwas sonst über­haupt nicht mag. In der Früh bin ich vor dem Zelt in eine Kuh­fla­de getre­ten, wor­über wir bei­de herz­lich gelacht haben.
Heu­te wür­de ich mich ärgern und es könn­te das eine Kri­se aus­lö­sen, nach der wir bes­ser sofort wie­der nach Hau­se fahren.

In einem Buch haben wir eine Erklä­rung dafür ent­deckt, die für unser Leben hilf­reich ist:
Die „Illu­si­on“ der Ver­liebt­heit hilft uns, eine Vor­stel­lung dafür zu bekom­men, wozu wir im all­täg­li­chen Leben fähig sind.
Des­halb erin­nern wir uns jetzt manch­mal ganz bewusst an die Zeit unse­rer Ver­liebt­heit und hal­ten so die Gefüh­le und die Begeis­te­rung für­ein­an­der leben­dig. Das ver­än­dert unse­ren Alltag.

Eva und Erwin

 

Anmer­kung der Redaktion:
Bei unse­ren Semi­na­ren gehen wir dar­auf ein, dass Zei­ten der Ent­täu­schung nach der Ver­liebt­heit völ­lig nor­mal sind. Wir zei­gen jedoch einen Weg auf, wie es wie­der mög­lich wird zu lieben.